Language of document : ECLI:EU:C:2001:82

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

SIEGBERT ALBER

vom 8. Februar 2001 (1)

Rechtssache C-255/99

Anna Humer

(Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofes, Wien)

„Familienleistungen - Soziale Vergünstigungen - Gewährung von Unterhaltsvorschüssen - Staatsangehörigkeitserfordernis“

I - Einführung

1.
    In dem vorliegenden durch den Obersten Gerichtshof der Republik Österreich eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahren geht es noch einmal(2) um die Vereinbarkeit einer Vorschrift des Unterhaltsvorschussgesetzes(3) mit dem Gemeinschaftsrecht, und zwar diesmal im Hinblick auf die Anspruchsvoraussetzung des ständigen Aufenthalts auf österreichischem Hoheitsgebiet.

II - Sachverhalt und Verfahren

2.
    Die minderjährige Antragstellerin Anna Humer, geboren am 10. September 1987, ist die eheliche Tochter österreichischer Staatsangehöriger. Sie ist gleichfalls österreichische Staatsangehörige. Die Ehe der Eltern wurde am 9. März 1989 geschieden. Seitdem hat die Mutter das Sorgerecht inne.

3.
    Zunächst wohnten beide Elternteile in Österreich. Im Jahr 1992 zog die Mutter mit dem Kind nach Frankreich, wo beide seither ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Der Vater hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach wie vor in Österreich.

4.
    Am 2. November 1993 verpflichtete sich der Vater in einem gerichtlichen Vergleich zu einer monatlichen Unterhaltszahlung von 4 800 ATS für seine Tochter. Zu dieser Zeit war er als kaufmännischer Angestellter beschäftigt und ging dieser Erwerbstätigkeit zumindest bis 31. Januar 1998 nach. In der Folgezeit war er arbeitslos.

5.
    Die Mutter war, als sie noch in Österreich wohnte, als Religionslehrerin tätig. Im Laufe des Verfahrens vor dem Gerichtshof wurde auf eine dahin gehende Frage des Gerichtshofes von dem Prozessvertreter der Antragstellerin zum Sachverhalt weiter vorgetragen, dass die Mutter der Antragstellerin eine aufgrund des Konkordats mit Österreich staatlich anerkannte Lehrbefähigung durch die katholische Kirche besaß und ausübte. Nach der Übersiedlung nach Frankreich stand die Mutter der Antragstellerin vor dem Problem, dass ihre Lehrbefähigung in Frankreich nicht anerkannt wurde. Um dennoch als Lehrerin tätig sein zu können, unterrichtete sie an Privatschulen das Fach Deutsch und absolvierte dazu parallel ein Studium an der Universität Nantes, das sie mit einer Lehramtsprüfung für Deutsch als lebende Fremdsprache 1994 abschloss. Um einen dem beruflichen Status in Österreich vergleichbaren beruflichen Status in Frankreich zu erlangen, setzte sie ihre Studien fort. Gleichzeitig war sie in Frankreich als Lehrerin an Privatschulen berufstätig.

6.
    Am 24. Juli 1998 beantragte die Antragstellerin von Österreich die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in der Höhe von 4 800 ATS monatlich ab dem 1. Juli 1998 für die Dauer von drei Jahren. Sie brachte vor, der Vater sei trotz wiederholter „Exekutionsführung“ seit vielen Monaten mit den Unterhaltszahlungen im Zahlungsrückstand und der laufende Unterhalt werde nicht gezahlt.

7.
    Das erstinstanzliche Gericht wies den Antrag auf Vorschussgewährung ab, weil der ständige Aufenthalt des Kindes und der sorgeberechtigten Mutter in Frankreich liege. Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss dahin gehend ab, dass der Antragstellerin gemäß § 3 UVG monatlich Unterhaltsvorschüsse von 4 800 ATS, höchstens jedoch in Höhe des jeweiligen Richtsatzes gemäß § 6 Absatz 1 UVG gewährt wurden. Das Gericht ging davon aus, die Artikel 6 Absatz 1 und 43 EG gingen der Anwendung einer diskrimierenden Regelung, wie der im vorliegenden Fall geltend gemachten, vor. Der Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofes bedürfe es insofern nicht. Das Rekursgericht ließ jedoch den ordentlichen Revisionsrekurs zu, so dass das nun vorlegende Gericht mit der Sache befasst wurde. Der erkennende Senat des Obersten Gerichtshofes hält dagegen eine Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften für erforderlich.

8.
    Am schriftlichen Verfahren haben sich die Antragsteller, die deutsche, die österreichische und die schwedische Regierung sowie die Kommission beteiligt. In der mündlichen Verhandlung ist überdies die dänische Regierung aufgetreten.

III - Das Vorabentscheidungsersuchen

9.
    Im Rahmen der Begründung des Vorabentscheidungsersuchens bezieht sich das vorlegende Gericht ausdrücklich auf die Ausführungen in dem Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache Offermanns(4). Das vorlegende Gericht weist ferner darauf hin, dass nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 und deren Bezeichnung Familienangehörige von Arbeitnehmern und Selbständigen in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung eingeschlossen sind. Unter Bezugnahme auf das Urteil des Gerichtshofes vom 16. März 1978 in der Rechtssache Laumann(5), in dem es um die Gewährung einer Waisenrente an Kinder ging, die mit ihrer Mutter in einem anderen Mitgliedstaat lebten als der verstorbene Vater, trifft das vorlegende Gericht die Feststellung, die Verordnung sei auch dann anwendbar, wenn nicht der Arbeitnehmer selbst, sondern seine Hinterbliebenen in einem anderen Mitgliedstaat wohnten. Dieser Grundsatz könne auch für die Gewährung von Familienleistungen an Kinder eines noch lebenden Arbeitnehmers gemäß Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 herangezogenwerden, weil insoweit kein wesentlicher Unterschied zwischen Artikel 73 und dem sich auf Waisen beziehenden Artikel 78 der Verordnung zu erblicken sei.

10.
    Im Hinblick auf das im Gemeinschaftsrecht wiederkehrende Motiv der Vermeidung von Regelungen, die einen Wanderarbeitnehmer davon abhalten könnten, von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, räumt das vorlegende Gericht ein, das Erfordernis des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes im Inland sei insofern nicht geeignet, österreichische Arbeitnehmer als Unterhaltsschuldner davon abzuhalten, ins Ausland zur Familie oder mit der Familie ins Ausland zu ziehen, als der Anspruch auf Unterhaltsvorschuss nur entstehe, wenn der Unterhaltsschuldner und das unterhaltsberechtigte Kind nicht im selben Haushalt lebten.

11.
    Allerdings könnte die Regelung den betreuenden Elternteil davon abhalten, eine sich ihm in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union bietende Arbeitsstelle anzunehmen: „Im Fall der Vorschussversagung wird bei Zahlungsunwilligkeit des nicht betreuenden Unterhaltsschuldners die gesamte Unterhaltslast auf den betreuenden Elternteil überwälzt. Erfordert eine ausländische Erwerbstätigkeit die Übersiedlung ins Ausland, müsste der betreuende Elternteil in Kauf nehmen, jenes Ausgleiches finanzieller Lasten verlustig zu gehen, der sich aus Unterhaltsvorschüssen nach der österreichischen Rechtsordnung finanzieren ließe.“

12.
    Das vorlegende Gericht hält es darüber hinaus ausdrücklich für zweifelhaft, ob die streitige Regelung sachlich gerechtfertigt werden könne.

13.
    Das vorlegende Gericht unterbreitet dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung:

1.a)    Sind Unterhaltsvorschüsse an minderjährige Kinder von Erwerbstätigen oder Arbeitslosen, die Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach den österreichischen Rechtsvorschriften beziehen, nach dem österreichischen Bundesgesetz über die Gewährung von Vorschüssen auf den Unterhalt von Kindern (Unterhaltsvorschussgesetz 1985 - UVG, BGBl 451 in der geltenden Fassung) Familienleistungen nach Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie der Familienangehörigen, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten und durch die Verordnung (EWG) Nr. 3427/89 des Rates vom 30. Oktober 1989 geänderten Fassung, und gilt daher in einem solchen Fall auch Artikel 3 der Verordnung über die Gleichbehandlung?

b)    Begründen die Artikel 73 und 74 der genannten Verordnung Nr. 1408/71 ein Recht des mit seiner Mutter in einem anderen Mitgliedstaat wohnendenehelichen Kindes eines in Österreich wohnhaften und in Österreich beschäftigten oder arbeitslosen Vaters, der Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach österreichischen Vorschriften bezieht, auf Gewährung eines Unterhaltsvorschusses nach dem in a) zitierten Unterhaltsvorschussgesetz?

2.    Im Fall der Verneinung einer der zu 1. formulierten Fragen:

a)    Sind Unterhaltsvorschüsse nach dem in 1.a) zitierten Unterhaltsvorschussgesetz soziale Vergünstigungen im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft vom 15. Oktober 1968?

b)    Stellt die Voraussetzung des inländischen Aufenthaltes des Kindes für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen eine verbotene einschränkende Bestimmung gemäß Artikel 3 Absatz 1 zweiter Fall der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 im Licht des in Artikel 48 EG-Vertrag für Arbeitnehmer verankerten Freizügigkeitsgebotes dar?

c)    Begründen die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1612/68 ein Recht auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in der Person des Kindes von Arbeitnehmern?

IV - Rechtlicher Rahmen

A - Gemeinschaftsrecht

14.
    Folgende Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. L 28 vom 30.1.1997, S. 1) geänderten und aktualisierten und durch die Verordnung (EG) Nr. 307/1999 des Rates vom 8. Februar 1999 (ABl. L 38, S. 1) geänderten Fassung sind für den vorliegenden Fall erheblich. Die Verordnung Nr. 1408/71 in der Fassung der Verordnung Nr. 118/97 bestimmt:

Artikel 1

Begriffsbestimmungen

Für die Anwendung dieser Verordnung werden die nachstehenden Begriffe wie folgt definiert:

a) - e) ...

f)    i)    .Familienangehöriger': jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, oder in den Fällen des Artikels 22 Absatz 1 Buchstabe a) und des Artikels 31 in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnt, als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet ist; ...

    ii)    ...

g) - t) ...

u)    i)    .Familienleistungen': alle Sach- oder Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten im Rahmen der in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h) genannten Rechtsvorschriften bestimmt sind, jedoch mit Ausnahme der in Anhang II aufgeführten besonderen Geburtsbeihilfen;

    ii)    ...

v)    ...

Artikel 2

Persönlicher Geltungsbereich

(1) Diese Verordnung gilt für Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.

(2) ...

(3) ...

Artikel 3

Gleichbehandlung

(l) Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen.

(2) ...

(3) ...

Artikel 4

Sachlicher Geltungsbereich

(l) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:

a) - g) ...

h) Familienleistungen.

(2) - (4) ...“

15.
    Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

„Arbeitnehmer und Selbständige, deren Familienangehörige in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat wohnen

Ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, hat, vorbehaltlich der Bestimmungen in Anhang VI, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.“

16.
    Artikel 74 der Verordnung Nr. 1408/71 lautet:

Arbeitslose, deren Familienangehörige in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat wohnen

Ein arbeitsloser Arbeitnehmer oder ein arbeitsloser Selbständiger, der Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats bezieht, hat, vorbehaltlich der Bestimmungen in Anhang VI, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.“

17.
    Die Verordnung (EG) Nr. 307/1999 des Rates vom 8. Februar 1999 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 über das Verfahren zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr.1408/71 mit dem Ziel der Ausdehnung ihrer Anwendungsbereiche auf Studierende(6) bestimmt, soweit für den vorliegenden Fall erheblich:

Artikel 1

Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 wird wie folgt geändert:

1. Artikel 1 wird wie folgt geändert:

a) Nach dem Buchstaben c) wird folgender Buchstabe eingefügt:

.ca) .Studierender': jede Person außer einem Arbeitnehmer, einem Selbständigen oder einem seiner Familienangehörigen oder Hinterbliebenen im Sinne dieser Verordnung, die ein Studium oder eine Berufsausbildung absolviert, das/die zu einem von den Behörden eines Mitgliedstaats offiziell anerkannten Abschluss führt, und die im Rahmen eines allgemeinen Systems der sozialen Sicherheit oder eines auf Studierende anwendbaren Sondersystems der sozialen Sicherheit versichert ist;'.

b) Unter Buchstabe f) Ziffer i) werden die Worte .mit dem Arbeitnehmer oder dem Selbständigen' durch .mit dem Arbeitnehmer oder dem Selbständigen oder dem Studierenden' und unter Buchstabe f) Ziffer ii) die Worte .des Arbeitnehmers oder Selbständigen' durch den Ausdruck .des Arbeitnehmers oder Selbständigen oder Studierenden' ersetzt.

2. Artikel 2 erhält folgende Fassung:

.Artikel 2

Persönlicher Geltungsbereich

(1) Diese Verordnung gilt für Arbeitnehmer und Selbständige sowie für Studierende, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.

(2) ...'

3. - 6. ...“

18.
    Die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) bestimmt:

ERSTER TEIL

DIE BESCHÄFTIGUNG UND DIE FAMILIENANGEHÖRIGEN

DER ARBEITNEHMER

TITEL I

Zugang zur Beschäftigung

Artikel 1 ...

Artikel 2 ...

Artikel 3

(1)    Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder Verwaltungspraktiken eines Mitgliedstaats,

-    die das Stellenangebot und das Arbeitsgesuch, den Zugang zur Beschäftigung und deren Ausübung durch Ausländer einschränken oder von Bedingungen abhängig machen, die für Inländer nicht gelten,

-    oder die, ohne auf die Staatsangehörigkeit abzustellen, ausschließlich oder hauptsächlich bezwecken oder bewirken, dass Angehörige der übrigen Mitgliedstaaten von der angebotenen Stelle ferngehalten werden,

finden im Rahmen dieser Verordnung keine Anwendung.

...

(2) ...

Artikel 4 - 6 ...

TITEL II

Ausübung der Beschäftigung und Gleichbehandlung

Artikel 7

(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.

(2) Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer.

(3) ...

(4) ...“

B - Österreichisches Recht

19.
    § 2 Absatz 1 des österreichischen Bundesgesetzes über die Gewährung von Vorschüssen auf den Unterhalt von Kindern (Unterhaltsvorschussgesetz 1985 - UVG, BGBl S. 451 bestimmt:

„Anspruch auf Vorschüsse haben minderjährige Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und entweder österreichische Staatsbürger oder staatenlos sind. Hat derjenige, mit dem das Kind im gemeinsamen Haushalt lebt, in Erfüllung seiner Dienstpflicht gegenüber einer inländischen öffentlich-rechtlichen Körperschaft seinen Aufenthalt im Ausland, so ist für die Vollziehung dieses Bundesgesetzes anzunehmen, dass das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sprengel seines Vormundschafts- oder Pflegschaftsgerichts hat.“

20.
    § 3 UVG lautet:

„Vorschüsse sind zu gewähren, wenn

1. für den gesetzlichen Unterhaltsanspruch ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel besteht und

2. eine wegen der laufenden Unterhaltsbeiträge geführte Exekution [...] oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderung oder eine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, eine Exekution [...] auch nur einen in den letzten sechs Monaten vor Stellung des Antrags auf Vorschussgewährung fällig gewordenen Unterhaltsbeitrag nicht voll gedeckt hat; dabei sind hereingebrachte Unterhaltsrückstände auf den laufenden Unterhalt anzurechnen.“

V - Zur ersten Frage

Beteiligtenvorbringen

21.
    Die Antragstellerin macht geltend, dass die im Rahmen von Unterhaltsvorschüssen geleisteten Zahlungen Familienleistungen im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71 seien.

22.
    Das Unterhaltsvorschussrecht sei in Österreich geschaffen worden, um Unterhaltsberechtigten im Falle der Säumigkeit oder in einzelnen Fällen auch der Unfähigkeit des Unterhaltsschuldners entsprechende finanzielle Mittel zurVerfügung zu stellen. Der Unterhaltsberechtigte erhalte von der Republik Österreich einen ihm, von Mißbrauchsfällen abgesehen, endgültig verbleibenden Betrag. Nur etwa ein Drittel der von der Republik Österreich gezahlten Unterhaltsvorschüsse könnten von den Unterhaltsschuldnern wieder eingezogen werden.

23.
    Anspruchsvoraussetzung sei nicht die soziale Bedürftigkeit oder gar soziale Notlage, sondern nur das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs. Es handele sich dem Wesen nach also nicht um sozialhilfegesetzliche Regelungen, sondern um echte staatliche Leistungen an Angehörige eines Unterhaltsschuldners, sei dieser nun selbständig oder unselbständig erwerbstätig oder auch vorübergehend arbeitslos.

24.
    Die staatlichen Leistungen hätten den Charakter von dauerhaft dem Unterhaltsberechtigten verbleibenden staatlichen Zahlungen. Es lägen also Familienleistungen im Sinne der genannten Verordnung vor.

25.
    Die deutsche Regierung trägt vor, die Zahlung des österreichischen Unterhaltsvorschusses sei keine „Familienleistung“ im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71.

26.
    Damit eine Familienleistung im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 angenommen werden könne, müsse die Gewährung eines Unterhaltsvorschusses nach dem österreichischen Unterhaltsvorschussgesetz ohne Einzelfallprüfung dem Ausgleich von Familienlasten dienen. Dies sei jedoch nicht der Fall. Ein Unterhaltsvorschuss werde nur in Einzelfällen gewährt. Er gleiche auch nicht Familienlasten im Sinne von Artikel 4 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71 aus. Denn Familienlasten könnten nur dann ausgeglichen werden, wenn die Geldleistung auch endgültig bei der Familie verbleibe, d. h., wenn die Geldleistung der Familie als nicht rückzahlbarer staatlicher Zuschuss, z. B. zum Unterhalt der Kinder, gewährt werde. In einem solchen Fall werde die Unterhaltslast durch den Staat in Höhe der Geldleistung endgültig übernommen. Bei vom Staat gewährten Unterhaltsvorschüssen werde die Unterhaltslast vom Staat jedoch nicht endgültig übernommen. Eine derartige Leistung führe nämlich nicht zum Erlöschen des Unterhaltsanspruchs gegenüber dem Unterhaltsverpflichteten.

27.
    Bezüglich der ersten Frage meint auch die österreichische Regierung, dass Unterhaltsvorschüsse nach dem UVG keine Familienleistungen im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71 seien, so dass deren Artikel 3 nicht anwendbar sei.

28.
    Den Unterhaltsvorschüssen liege ein materiell-rechtlicher Anspruch des minderjährigen Kindes gegen den den Unterhalt schuldenden Elternteil zugrunde. Ziel des UVG sei es, auch bei Ausfall des Unterhaltspflichtigen dem Kind den Erhalt des vollen Unterhalts zu gewährleisten. Es handele sich dabei keinesfalls um Sozialleistungen. Grundlage des Anspruchs sei der materiell-rechtliche Anspruchdes Kindes gegen den Unterhaltspflichtigen, der bei entsprechenden Leistungen durch den österreichischen Bund auf diesen übergehe. Durch die Legalzession des Anspruches auf den Bund werde dieser Unterhaltsanspruch inhaltlich in keiner Weise verändert, sondern bleibe ein materiell-rechtlicher Unterhaltsanspruch gegen den den Unterhalt schuldenden Elternteil, der eben in bestimmten, im Gesetz vorgesehenen Krisenfällen durch den österreichischen Bund lediglich vorfinanziert werde. Auch aus den Motiven des historischen Gesetzgebers ergebe sich, dass er nicht Familienlasten selbst habe ausgleichen, sondern bloß das Verfahren zur Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs habe erleichtern wollen.

29.
    Die schwedische Regierung ist der Ansicht, dass der Unterhaltsvorschuss des österreichischen Rechts keine Familienleistung im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71 sei.

30.
    In der vorliegenden Rechtssache stelle sich die Frage, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe h, in dem der Begriff „Familienleistungen“ verwendet werde, erfüllt seien. Dieser Begriff bringe anders als die übrigen Bestimmungen des Artikels 4 Absatz 1 nicht klar zum Ausdruck, auf welchen Sachverhalt und auf welches Risiko die Bestimmung abstelle.

31.
    Bei der Prüfung der Frage, ob eine Leistung eine Familienleistung sei, müsse deshalb berücksichtigt werden, auf welche Art von Familiensituation und auf welche Risiken es für die Gewährung der fraglichen Leistung ankomme. Es sei nicht ohne Weiteres ersichtlich, dass eine solche Familiensituation gegeben sei, wenn die Ehegatten geschieden seien oder getrennt lebten. Auch stehe das Ziel, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu fördern, nicht in demselben Maße im Vordergrund, wenn eine Familie sich aufgelöst habe, wie wenn die Familienmitglieder zusammenlebten, und sei es auch in mehreren Mitgliedstaaten. Geschiedene Eheleute könnten im Übrigen eine neue Ehe schließen und einen eigenen Arbeitsplatz finden. In diesen Fällen bestehe nicht dasselbe Schutzbedürfnis für den Ehegatten, der möglicherweise früher Anspruch auf Familienleistungen gehabt habe, die zugunsten von Ehen mit einem arbeitenden Ehegatten gewährt würden.

32.
    Der Unterhaltsvorschuss des österreichischen Rechts werde nur in Fällen gewährt, in denen die Eltern und die Kinder nicht als Familie zusammenlebten. Tatsächlich sei er gerade für diese Situation gedacht. Dann aber liege ein Sachverhalt vor, der in völligem Gegensatz zu dem stehe, auf den der Begriff „Familienleistungen“ abstelle.

33.
    Des Weiteren könne der Unterhaltsvorschuss des österreichischen Rechts nur dann als Familienleistung im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 angesehen werden, wenn er unter die Definition des Artikels 1 Buchstabe u Ziffer i falle.

34.
    Aus der Beschreibung der österreichischen Regelung folge, dass der Unterhaltsvorschuss keine Sachleistung sei. Entscheidend sei somit, ob er als „Geldleistung, die zum Ausgleich von Familienlasten bestimmt ist“, anzusehen sei.

35.
    Das spezifische Merkmal des Unterhaltsvorschusses bestehe darin, dass er einen Vorschuss der öffentlichen Hand auf die Unterhaltszahlung eines Unterhaltspflichtigen an ein Kind darstelle. Das Kind müsse unter allen Umständen einen Anspruch auf den entsprechenden Betrag gegen den unterhaltspflichtigen Elternteil haben, selbst wenn dieser nicht zahle. Der Unterhaltsvorschuss sei somit kein Zuschuss der öffentlichen Hand für das Kind. Auch die Voraussetzungen für seine Gewährung sprächen dafür, dass er keine Familienleistung sei.

36.
    Was die Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 angeht, ist die Kommission der Auffassung, dass die im UVG vorgesehenen Unterhaltsvorschüsse nicht als Familienleistungen im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71 anzusehen seien. Sie schließt daraus, dass die Artikel 73 und 74 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht anwendbar seien.

37.
    Zur Frage, ob die Leistungen nach dem UVG in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung fallen, trägt die Kommission vor, diese Leistungen würden allen Minderjährigen gewährt, die - abgesehen von den in § 2 formulierten Voraussetzungen, österreichischer Staatsbürger oder staatenlos zu sein - die in § 3 und § 4 UVG genannten Voraussetzungen erfüllten. Der Anspruch auf Unterhaltsvorschuss stehe unabhängig vom Ausmaß der Bedürftigkeit oder von der Höhe des Familieneinkommens grundsätzlich jedem Kind zu. Daher handele es sich dabei nicht um eine von der Verordnung ausgenommene Leistung mit Sozialhilfecharakter. Somit fielen die Leistungen nach dem UVG grundsätzlich in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71.

38.
    Im Hinblick darauf, ob die Leistungen auch „Familienleistungen“ im Sinne der Verordnung seien, verweist die Kommission zunächst auf das Urteil des Gerichtshofes vom 4. Juli 1985 in der Rechtssache Kromhout(7). Aus dem Urteil folge, dass Familienleistungen den Zweck hätten, Familien dadurch sozial zu unterstützen, dass sich die Allgemeinheit an diesen Lasten beteilige. Übertrage man den Grundgedanken dieser Entscheidung, die auf die unterschiedliche Zielsetzung der verschiedenen Leistungen abstelle, auf den vorliegenden Fall, so sei festzuhalten, dass Vorschüsse nach dem UVG ein anderes Ziel verfolgten als den - für Familienleistungen typischen - Ausgleich von Familienlasten.

39.
    Im Hinblick auf den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 weist die Kommission darauf hin, dass die Ansprüche auf Unterhaltsvorschüsse nach dem UVG insofern eine besondere Ausprägung hätten, als diese nicht dem Vater oder der Mutter des minderjährigen Kindes zustünden,sondern vielmehr dem Kind selbst. Somit sei zu prüfen, ob das Kind als Familienangehöriger im Sinne des Artikels 1 Buchstabe f Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 anzusehen sei und ob es vom persönlichen Geltungsbereich nach Artikel 2 Absatz 1 dieser Verordnung erfasst werde, wenn sein Vater oder seine Mutter Arbeitnehmer(in), Selbständige(r) oder Studierende(r) sei. Ausgehend von dem im Vorlagebeschluss geschilderten Sachverhalt gelte der Antrag auf Unterhaltsvorschuss seit dem 1. Juli 1998, und ausschlaggebend sei die Tätigkeit der Eltern ab diesem Zeitpunkt.

40.
    Die Kommission geht in ihren Ausführungen davon aus, dass die Mutter der Antragstellerin im fraglichen Zeitraum Studentin gewesen sei, zieht also deren Arbeitnehmereigenschaft nicht in Betracht. Im Hinblick auf Studierende sei die Verordnung Nr. 1408/71 erst seit dem 1. Mai 1999 durch die Verordnung Nr. 307/1999 anwendbar. Für den Zeitraum von Juli 1998 bis einschließlich April 1999 könnte das Kind aber auch über den Status des Vaters einbezogen sein. Nach den Angaben des Vorlagegerichts erfülle der Vater in diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch bei Arbeitslosigkeit nach den österreichischen Rechtsvorschriften. Die Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach den österreichischen Rechtsvorschriften seien als Versicherungsleistungen anzusehen, die zum für Arbeitnehmer geschaffenen System der sozialen Sicherheit gehörten. Daraus ergebe sich, dass der persönliche Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 sich in dem relevanten Zeitraum auf das Kind erstrecke, und zwar aufgrund der rechtlichen Position seines Vaters.

Würdigung

a)    Zum sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71

41.
    Die erste Frage des Vorabentscheidungsersuchens ist ebenso wie in der Rechtssache Offermanns die Frage nach dem sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71. In der Rechtssache Offermanns, in der am 28. September 2000 die Schlussanträge vorgelegt wurden, ist unter den Nummern 22 bis 48 ausführlich zu der Qualifizierung der Unterhaltsvorschussleistung als Familienleistung im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71 Stellung genommen.

42.
    Im vorliegenden Verfahren haben sich keine Gesichtspunkte ergeben, die Anlass böten, die in der Rechtssache Offermanns vorgenommenen Bewertungen zu revidieren. Es wird daher vollinhaltlich auf die Ausführungen in den Schlussanträgen Offermanns verwiesen. Die wesentlichen Aspekte der Betrachtungen, den Unterhaltsvorschuss als Familienleistung zu qualifizieren, seien nochmals kurz zusammengefasst.

43.
    Nach ständiger Rechtsprechung hängt die Unterscheidung zwischen Leistungen, die vom Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 ausgeschlossen sind und solchen, die darunter fallen, im Wesentlichen von den grundlegendenMerkmalen der jeweiligen Leistung ab, insbesondere von ihrem Zweck und den Voraussetzungen ihrer Gewährung, nicht dagegen davon, ob eine Leistung auch von den nationalen Rechtsvorschriften als eine Leistung der sozialen Sicherheit eingestuft wird(8). Eine Leistung kann dann als Leistung der sozialen Sicherheit betrachtet werden, wenn sie den Empfängern unabhängig von jeder auf Ermessensausübungen beruhenden Einzelfallbeurteilung der persönlichen Bedürftigkeit aufgrund einer gesetzlich umschriebenen Stellung gewährt wird und sich auf eines der in Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich aufgezählten Risiken bezieht(9).

44.
    Unterhaltsvorschüsse nach dem UVG werden unstreitig aufgrund einer gesetzlich umschriebenen Stellung gewährt, ohne dass Raum für eine Ermessensentscheidung wäre und ohne dass die persönliche Bedürftigkeit geprüft werden müsste. Bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen des § 3 UVG besteht ein Anspruch auf die Unterhaltsvorschusszahlungen.

45.
    Die Leistungen beziehen sich auch nach Zweck und Voraussetzungen ihrer Gewährung auf das „Risiko“(10) der „Familienleistungen“ im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71.

46.
    Zu den „Familienlasten“ gehört sowohl auf begrifflicher Ebene als auch bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise der Kindesunterhalt. Der materielle Kindesunterhalt ist als ursprüngliche Familienlast zu betrachten. Ein Unterhaltstitel allein ist nicht geeignet, den Unterhalt auch tatsächlich sicherzustellen. Ein staatlich finanzierter Unterhaltsvorschuss bei Ausbleiben der Unterhaltszahlungen des unterhaltspflichtigen Elternteils ist daher geeignet, Familienlasten auszugleichen.

47.
    Die staatliche Unterstützung, die das unterhaltsberechtigte Kind unmittelbar und der sorgeberechtigte Elternteil mittelbar durch die Unterhaltsvorschussleistungen erfahren, vollzieht sich auf mehreren Ebenen. Zum einen ist da der verfahrensrechtliche Aspekt der Vollstreckung aus einem Unterhaltstitel bzw. gegebenenfalls sogar erst die Beibringung eines solchen Titels. Der verfahrensrechtliche Aspekt sollte nicht unterschätzt werden. Eine derartigestaatliche Unterstützungshandlung könnte möglicherweise auch als Sachleistung zu betrachten sein.

48.
    Zum anderen wohnt den Unterhaltsvorschussleistungen auch ein nicht unbedeutender wirtschaftlicher Aspekt inne. Die Vorschusszahlung bewirkt die rechtzeitige Verfügbarkeit finanzieller Mittel dann, wenn sie gebraucht werden. Im Übrigen trägt der Staat das Insolvenzrisiko. Angesichts der Tatsache, dass nur etwa ein Drittel der auf den Staat übergegangenen Unterhaltszahlungen eingetrieben werden können, wäre es verkürzt, die Regelungen über den Unterhaltsvorschuss als reine verfahrensrechtliche Hilfeleistung zu betrachten oder auf den vorübergehenden Charakter der Leistung als Vorfinanzierung fälliger Unterhaltszahlungen abzustellen. Die durch den allein sorgeberechtigten Elternteil - mit dem das Kind in häuslicher Gemeinschaft lebt - aufzubringende Unterhaltslast wird bei Ausbleiben der Unterhaltszahlungen des unterhaltspflichtigen Elternteils wesentlich erhöht. Die Vorschusszahlungen mindern und kompensieren diesen Teil zu der Zeit und an dem Ort, an dem es nötig ist. Indem der Staat das Insolvenzrisiko trägt, kann man in Fällen nicht eintreibbarer Unterhaltsverpflichtungen sogar von einer Nettobeteiligung des Staates an den Familienlasten ausgehen.

49.
    Bei der Beschreibung von Inhalt und Zweck von Familienleistungen entnimmt der Gerichtshof den einschlägigen Rechtsvorschriften, dass sie dazu dienen sollen, „Arbeitnehmer mit Familienlasten dadurch sozial zu unterstützen, dass sich die Allgemeinheit an diesen Lasten beteiligt“(11).

50.
    Während die Gewährung von Kindesunterhalt zu den ursprünglichen Familienlasten gehört, ist die Beitreibung fälligen Unterhalts nicht unbedingt eine typische Familienlast, sondern eher eine für die besondere Familiensituation getrennt lebender Eltern typische Belastung. Durch das Eingreifen der Vorschriften über den Unterhaltsvorschuss beteiligt sich der Staat und damit die Allgemeinheit zum einen durch die verfahrenmäßige Beitreibung des Unterhalts und zum anderen durch die Sicherstellung der Gewährung des Unterhalts an den Lasten. Für beide Aspekte werden öffentliche Mittel eingesetzt, so dass man durchaus den Schluss ziehen kann, dass die Allgemeinheit an den durch die spezifische Familiensituation entstehenden Lasten beteiligt wird. Der Sinn und Zweck der Unterhaltsvorschussregelung zielt folglich auf den Ausgleich von Familienlasten.

51.
    Diese Betrachtungsweise wird noch dadurch untermauert, dass die Unterhaltsvorschusszahlungen aus Mitteln des Familienausgleichsfonds finanziert werden. Zwar wurde zur Entkräftung dieses Arguments auf das Urteil Hughes hingewiesen, dem folgende Formulierung zu entnehmen ist: „Die Art der Finanzierung einer Leistung ist nämlich für ihre Qualifizierung als Leistung dersozialen Sicherheit ohne Belang ...“(12). Dieses Argument hat der Gerichtshof jedoch dem in dieser Rechtssache vorgebrachten Einwand entgegengesetzt, die dort streitige Leistung(13) sei deshalb keine Leistung der sozialen Sicherheit, weil ihr keine Beitragszahlungen vorausgingen. Das Urteil Hughes kann demnach der Schlussfolgerung nicht entgegengehalten werden, dass die Finanzierung der Leistung durch den Familienlastenausgleichsfonds jedenfalls als Indiz für die Bewertung der Unterhaltsvorschussleistung als Familienleistung gewertet werden kann.

52.
    Der Umstand, dass der Anspruch auf Unterhaltsvorschuss dem unterhaltsberechtigten Kind und nicht einem Elternteil zusteht, steht der Qualifizierung der Leistung als Familienleistung nicht entgegen. Der Unterhaltsvorschuss fließt dem Haushalt zu, in dem das Kind lebt und kann daher mittelbar auch als Leistung an den sorgeberechtigten Elternteil betrachtet werden. Überdies hat der Gerichtshof in dem Urteil in den verbundenen Rechtssachen Hoever und Zachow entschieden, dass die Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten grundsätzlich für Familienleistungen nicht gelte(14).

53.
    Auch die zivilrechtliche Natur des ursprünglichen Unterhaltsanspruchs steht der Qualifizierung der Leistung als Familienleistung nicht entgegen. Der ursprüngliche Unterhaltsanspruch des Kindes gegen seine Eltern ist - selbst wenn er dem Zivilrecht zuzuordnen ist - ein familienrechtlicher Anspruch. Die bloße Klassifizierung des Anspruchs als ein zivilrechtlicher wäre eine allzu formalistische Beschränkung und würde der familienrechtlichen Bedeutung - und daraus ableitend dem Charakter der Unterhaltszahlung als einer, wenn auch familieninternen, so doch klassischen Zahlung zum Ausgleich von Familienlasten - nicht gerecht. Selbst wenn also der Unterhaltsanspruch dem Zivilrecht zuzuordnen ist, hat doch das unterhaltsberechtigte Kind bei Ausbleiben der titulierten Unterhaltsforderung einen eigenen Anspruch gegen den Staat aufgrund der Regelung im UVG. Als Folge der Unterhaltsvorschussgewährung geht der ursprüngliche Anspruch des Kindes gegen den säumigen Unterhaltsschuldner kraft Legalzession auf den Staat über, der aus dieser Forderung gegen den Unterhaltsschuldner vorgehen kann. Die staatliche Ersetzung eines familienrechtlichen Anspruchs als Familienleistung zu qualifizieren, erscheint systemgerecht. Im Übrigen erscheint es auch schwer nachvollziehbar, warum der Staat für die Erfüllung eines rein zivilrechtlichen Anspruchs eintreten sollte. Die Verbindung mit dem familienrechtlichen Aspekt - und damit mit einer Familienleistung - ist also deutlich.

b)    Zum persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71

54.
    Der persönliche Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 wird in ihrem Artikel 2 festgelegt. In dessen Absatz 1 wird bestimmt, dass die Verordnung für Arbeitnehmer und Selbständige gilt, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.

55.
    Der Begriff „Familienangehöriger“ wird in Artikel 1 Buchstabe f Ziffer i definiert als jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird.

56.
    In dem Urteil in der Rechtssache Kermaschek(15) hat der Gerichtshof zwischen zwei in Artikel 2 der Verordnung Nr. 1408/71 angesprochenen Personengruppen unterschieden. Zum einen die Arbeitnehmer und zum anderen deren Familienangehörige und Hinterbliebene. „Während die zur ersten Gruppe gehörigen Personen Ansprüche auf Leistungen im Sinne der Verordnung aus eigenem Recht geltend machen können, stehen den zur zweiten Gruppe gehörigen Personen nur abgeleitete Rechte zu, die sie als Familienangehörige oder Hinterbliebene eines Arbeitnehmers erworben, also von einer zur ersten Gruppe gehörenden Person, abgeleitet haben.“(16)

57.
    Unter Zugrundelegung dieser Unterscheidung würde das den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss aus eigenem Recht geltend machende Kind wohl kaum in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fallen.

58.
    Die durch das Urteil Kermaschek(17) begründete und zunächst in ständiger Rechtsprechung(18) vorgenommene Differenzierung wurde jedoch in dem Urteil in der Rechtssache Cabanis-Issarte(19) ausdrücklich auf Fallkonstellationen, wie sie der Rechtssache Kermaschek zugrunde lagen(20), beschränkt(21). Die Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten könne „zu einer Beeinträchtigung desfür die Gemeinschaftsordnung grundlegenden Gebots der einheitlichen Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften führen, da deren Anwendbarkeit auf den Einzelnen davon abhänge, ob der Anspruch auf die betreffenden Leistungen nach nationalem Recht je nach den Besonderheiten des einzelstaatlichen Systems der sozialen Sicherheit als eigenes oder abgeleitetes Recht qualifiziert würde“(22).

59.
    Darüber hinaus hat der Gerichtshof - wie im Vorigen(23) bereits erwähnt - für den besonderen Fall der Familienleistungen in der Rechtssache Hoever und Zachow entschieden, dass die Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten für Familienleistungen grundsätzlich nicht gelte(24).

60.
    Um in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 zu fallen, kommt es für ein unterhaltsberechtigtes Kind also nur darauf an, ob es seine Stellung von einem Elternteil ableiten kann.

61.
    Im vorliegenden Fall ist der unterhaltspflichtige Vater der Antragstellerin gemäß dem Akteninhalt zu dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt arbeitslos gewesen. Man kann wohl davon ausgehen, dass er Leistungen bei Arbeitslosigkeit bezog. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass er mindestens gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit versichert war, so dass er in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fällt. Er vermittelt dadurch seiner Tochter den Status einer Familienangehörigen im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71.

62.
    Dem steht nicht entgegen, dass der (österreichische) Vater in Österreich lebt und nichts darüber bekannt ist, ob er sein gemeinschaftsrechtlich verankertes Recht auf Freizügigkeit jemals ausgeübt hat. Seine Tochter jedenfalls ist durch die gemeinsame Übersiedlung mit ihrer Mutter in einen anderen Mitgliedstaat in einem anderen Staat der Gemeinschaft als ihr Vater wohnhaft. Dadurch wird ein gemeinschaftsrechtlicher relevanter Sachverhalt verwirklicht.

63.
    Die Inländerdiskriminierung wurde vom Gemeinschaftsrecht bisher zwar gebilligt. Ob die Unionsbürgerschaft daran grundsätzlich etwas ändert, war bisher noch nicht Gegenstand einer Entscheidung des Gerichtshofes. Sofern jedoch ein gemeinschaftsrechtlich relevanter Sachverhalt vorliegt, war es auch in der Vergangenheit(25) schon klar, dass Inländer sich auf das Gemeinschaftsrecht berufen können, so dass die Berufung der Antragstellerin auf das Gemeinschaftsrecht keinen Bedenken begegnet.

64.
    Insofern als der Vater der Tochter lediglich ihre Rechtsstellung als Familienangehörige im Sinne des Gemeinschaftsrechts vermittelt und diese einen Anspruch aus eigenem Recht geltend macht, ist es auch unproblematisch, dass die Unterhaltsvorschussleistung nicht dem Vater zugute kommt, sondern allein der Tochter.

65.
    Die Antragstellerin könnte ihre Rechtsstellung gegebenenfalls auch von ihrer Mutter ableiten. Solange aufgrund der Sachverhaltsdarstellung im Vorabentscheidungsersuchen davon ausgegangen wurde, dass die Mutter sich als Studentin in Frankreich aufhielt, haben fast alle Beteiligten des Verfahrens Bedenken hinsichtlich ihrer Rechtsposition nach der Verordnung Nr. 1408/71 geäußert. Die Verordnung Nr. 1408/71 ist gemäß Artikel 95d erst seit dem 1. Mai 1999 auf Studierende und deren Familienangehörige anwendbar(26). Seit diesem Zeitpunkt fiele sie jedoch zweifelsfrei in den Anwendungsbereich der Verordnung, was jedoch im Hinblick auf den Zeitpunkt der Antragstellung auf den Unterhaltsvorschuss am 24. Juli 1998 möglicherweise keinen Einfluss mehr hat.

66.
    Die Arbeitnehmereigenschaft, die die Mutter der Antragstellerin in Österreich innehatte, könnte jedoch unter Umständen fortgewirkt haben, sofern zwischen ausgeübter Tätigkeit und dem aufgenommenen Studium eine Kontinuität(27) festgestellt werden kann. Es spricht vieles dafür, dass diese Kontinuität im vorliegenden Fall gewahrt ist. Die Mutter der Antragstellerin konnte somit als eine in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fallende Person der Antragstellerin den Status einer Familienangehörigen vermitteln.

67.
    Im Laufe des Verfahrens ist jedoch zutage getreten - was letztlich von dem mit der Sachentscheidung betrauten nationalen Gericht noch festzustellen sein wird -, dass die Mutter der Antragstellerin bereits unmittelbar nach ihrer Übersiedlung nach Frankreich erwerbstätig war, so dass an ihrer Arbeitnehmereigenschaft kein Zweifel besteht. Auch in dieser Konstellation würde die Mutter der Antragstellerin dieser den Status einer Familienangehörigen im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 vermitteln.

c)    Zur Anwendbarkeit der Artikel 73 und 74 der Verordnung Nr. 1408/71

68.
    Ausgehend von der Prämisse, dass Unterhaltsvorschussleistungen als Familienleistungen im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 zu betrachten sind, fragt es sich, welche Konsequenz dies für die Anspruchsposition der Antragstellerin hat. Artikel 3 der Verordnung Nr. 1408/71 normiert den Gleichbehandlungsgrundsatz im Rahmen der Verordnung. Gemäß dessen Absatz 1 haben die Personen, die imGebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Die Vorschrift gebietet also die Gleichbehandlung im Wohnstaat. Im vorliegenden Fall geht es für die Antragstellerin aber nicht um die Teilhabe an Leistungen der sozialen Sicherheit in ihrem Wohnstaat, also Frankreich, sondern um eine Leistung ihres Herkunftsstaats. Es geht daher praktisch um die Frage des Exports der Leistung.

69.
    Die Verordnung Nr. 1408/71 sieht in Artikel 10 die Aufhebung der Wohnortklauseln für Geldleistungen bei Invalidität, Alter oder für die Hinterbliebenen, für die Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten und die Sterbegelder vor. Familienleistungen figurieren nicht in dieser Aufzählung, so dass die Anspruchsvoraussetzung des Wohnsitzes im Inland zur Erlangung des Unterhaltsvorschusses nicht gemäß Artikel 10 der Verordnung außer Acht zu lassen ist.

70.
    Es sind jedoch die speziellen Regelungen des Titels III Kapitel 7 „Familienleistungen“ heranzuziehen. Sie enthalten Vorschriften, die der Bedingung des inländischen Wohnsitzes begünstigter Familienangehöriger entgegenstehen. Sowohl Artikel 73, der für Arbeitnehmer und Selbständige gilt, deren Familienangehörige in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat wohnen, als auch Artikel 74, der für Arbeitslose gilt, deren Familienangehörige in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat wohnen, schreibt vor, dass Familienleistungen in Anspruch genommen werden können, „als ob diese Familienangehörige im Gebiet dieses Staates wohnten“.

71.
    Artikel 73 und 74 enthalten also eine Fiktion des inländischen Wohnsitzes. Diese geht dem mitgliedstaatlichen Recht vor. Gesetzestechnisch könnte man das Ineinandergreifen von mitgliedstaatlichem Recht und Gemeinschaftsrecht dahin gehend auffassen, dass das Erfordernis des inländischen Wohnsitzes nach mitgliedstaatlichem Recht nicht schlechthin außer Acht zu lassen ist, sondern durch die Fiktion der Artikel 73 und 74 der Verordnung Nr. 1408/71 als erfüllt betrachtet werden kann. Jedenfalls kann der ausländische Wohnsitz der Antragstellerin dieser nicht als anspruchshindernd entgegengehalten werden. Gleichgültig, ob der unterhaltspflichtige Vater erwerbstätig oder arbeitslos ist, kann sich die Antragstellerin als Familienangehörige auf den Artikel 73 bzw. 74 der Verordnung Nr. 1408/71 berufen.

VI - Zur zweiten Frage

72.
    Folgt man dem im Vorigen zur Beantwortung der ersten Frage vertretenen Ansatz, erübrigt sich eine Beantwortung der zweiten Frage. Nur für den Fall, dass der Gerichtshof der vorgeschlagenen Lösung nicht folgen sollte, soll hier zur zweiten Frage des vorlegenden Gerichts Stellung genommen werden.

Beteiligtenvorbringen

73.
    Die Antragstellerin macht geltend, die Tatsache, dass ihr allein aufgrund des Umstandes, dass sie in Frankreich wohne, Unterhaltsvorschuss versagt werde, stelle eine Diskriminierung österreichischer Staatsbürger, die ihren Wohnsitz ins Ausland verlegt hätten, gegenüber solchen dar, die in Österreich geblieben seien. Mittelbar sei dadurch auch die Kindesmutter diskriminiert.

74.
    Die deutsche Regierung macht geltend, es sei nicht möglich, die Verordnung Nr. 1612/68 auf die Gewährung eines Unterhaltsvorschusses anzuwenden. Die Anwendung der Verordnung Nr. 1612/68 setze zunächst voraus, dass ein Arbeitnehmer von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht habe. Das sei vorliegend nicht der Fall, da der unterhaltspflichtige Vater in seinem Heimatland Österreich lebe. Darüber hinaus könne eine soziale Vergünstigung nach Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 nur Leistungen in dem Land betreffen, in dem der Wanderarbeitnehmer beschäftigt sei. Ein Export von sozialen Vergünstigungen an Familienangehörige eines Wanderarbeitnehmers, die im Ausland lebten, sei in der Verordnung Nr. 1612/68 grundsätzlich nicht vorgesehen.

75.
    Die Verordnung Nr. 1612/68 sei überdies auch sachlich nicht anwendbar. Ein Familienangehöriger eines Wanderarbeitnehmers könne zwar einen nach nationalem Recht vorgesehenen Eigenanspruch geltend machen, jedoch müsse es sich um einen Anspruch handeln, der nach dem Gemeinschaftsrecht weiterhin von dem Wanderarbeitnehmer abgeleitet sei, und dessen Erfüllung sich gleichzeitig als Leistung für den Wanderarbeitnehmer darstelle. Aus dem Urteil vom 26. Februar 1992 in der Rechtssache Bernini(28) ergebe sich nämlich, dass Familienangehörige grundsätzlich nur mittelbare Nutznießer des Gleichbehandlungsgrundsatzes seien. Im Fall des Unterhaltsvorschusses nach österreichischem Recht lägen diese Voraussetzungen aber nicht vor.

76.
    Zur Frage der Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 1612/68 trägt die österreichische Regierung Folgendes vor: Ein Anspruch, der auf diese Verordnung gestützt sei, setze die Arbeitnehmereigenschaft voraus. Gestützt auf den im Vorabentscheidungsersuchen wiedergegebenen Sachverhalt geht die österreichische Regierung davon aus, dass die Mutter der Antragstellerin nicht Arbeitnehmerin sei, weshalb die Verordnung Nr. 1612/68 nicht zur Anwendung kommen könne. Selbst wenn die Verordnung aber anwendbar wäre, so seien die nach dem UVG geleisteten Zahlungen nicht als „soziale Vergünstigungen“ im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung anzusehen. Unterhaltsvorschüsse würden nicht wegen der objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder wegen eines Wohnorts des Arbeitnehmers in Österreich gewährt. Auch bei Ausfall des Unterhaltsverpflichteten solle für das Kind der Erhalt des vollen Unterhalts sichergestellt werden. Es bestehe jedoch keine Verbindung zurArbeitnehmereigenschaft. Es handelt sich also um keine „soziale Vergünstigung“ im Sinne der Vorschrift.

77.
    Auch die schwedische Regierung vertritt den Standpunkt, die Vorschriften der Verordnung Nr. 1612/68 über die sozialen Vergünstigungen seien nicht auf den Unterhaltsvorschuss des österreichischen Rechts anwendbar. Der Begriff „soziale Vergünstigungen“ sei vor dem Hintergrund des Zieles der Förderung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Gemeinschaft zu sehen. Daraus müsse folgen, dass ein Zusammenhang zwischen der Leistung und dem Arbeitnehmer oder zumindest der früheren oder zukünftigen Berufstätigkeit einer Person bestehen müsse. Der Unterhaltsvorschuss sei eine Leistung allein zugunsten des Kindes und nicht zugunsten irgendeines Arbeitnehmers. Deshalb fehle es an dem natürlichen Zusammenhang zwischen der Leistung und einem Wanderarbeitnehmer, den die Verordnung Nr. 1612/68 voraussetze, und an einem Anknüpfungspunkt zu dem dieser Verordnung zugrunde liegenden Ziel, nämlich der Förderung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer.

78.
    Die Kommission trägt vor, das Vorlagegericht wolle mit seiner zweiten Frage wissen,

1.    ob Unterhaltsvorschüsse soziale Vergünstigungen im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 seien,

2.    ob die Voraussetzung des inländischen Aufenthalts des Kindes für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen eine verbotene einschränkende Bestimmung gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung darstelle und

3.    ob die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1612/68 ein Recht auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in der Person des Kindes von Arbeitnehmern begründeten.

79.
    In einer Vorbemerkung weist die Kommission darauf hin, dass die Konstellation des vorliegenden Rechtsstreits nicht der von der Verordnung Nr. 1612/68 geregelten entspreche. Sie regt daher an, die zweite Vorlagefrage zurückzuweisen. Nur für den Fall, dass der Gerichtshof dennoch zu der Frage Stellung nehmen wolle, macht sie folgende Ausführungen: Die Frage, ob eine soziale Vergünstigung im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 vorliege, sei zu bejahen; der Begriff der sozialen Vergünstigung sei sehr weit auszulegen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes erfasse er eine Reihe von Leistungen, die typischerweise allein als Folge des Arbeitsplatzwechsels oder des Wohnsitzes unmittelbar in Anspruch genommen werden könnten, ohne dass - wie etwa bei Leistungen der Verordnung Nr. 1408/71 - anspruchsbegründende Wohn-, Beschäftigungs- oder Versicherungszeiten vorausgesetzt würden. Demnach sei es unbestreitbar, dass der Unterhaltsvorschuss als eine soziale Vergünstigung im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 anzusehen sei. Auchwenn die Vorschüsse ein anderes Ziel verfolgten als den Ausgleich von Familienlasten, dienten sie der vollständigen und rechtzeitigen Befriedigung des Unterhaltsanspruchs minderjähriger Kinder. Damit, dass der Staat anstelle der säumigen Unterhaltsschuldner durch Zahlung von Vorschüssen einspringe, nehme er das Risiko der Uneinbringlichkeit der geschuldeten oder nicht erbrachten Unterhaltszahlung auf sich. Der Staat helfe somit in gewisser Weise bei der Eintreibung der Forderung gegen den säumigen unterhaltspflichtigen Elternteil.

80.
    Das anspruchsberechtigte Kind falle auch nicht in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1612/68. Ein derartiger persönlicher Anknüpfungspunkt lasse sich auch nicht über die Mutter konstruieren, die nicht die Kriterien für den Begriff des Arbeitnehmers im Sinne der Verordnung Nr. 1612/68 erfülle. Dabei geht die Kommission von den Sachverhaltsfeststellungen des vorlegenden Gerichts aus.

81.
    In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission eingeräumt, dass aufgrund der Sachverhaltsergänzungen durchaus davon ausgegangen werden müsse, dass die Mutter der Antragstellerin die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der Verordnung Nr. 1612/68 erfülle. Was Artikel 39 EG angehe, könne das Recht des obsorgeberechtigten Elternteils auf Freizügigkeit beeinträchtigt sein. So könnte dieser Elternteil davon abgehalten werden, eine sich in einem anderen Mitgliedstaat bietende Arbeitsstelle anzunehmen, wenn sein ihn begleitendes Kind durch den Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat seine Ansprüche auf Unterhaltsvorschüsse verliere.

82.
    Damit sei im Wesentlichen die Frage der Exportierbarkeit von sozialen Vergünstigungen im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 angesprochen. Rein wirtschaftliche Gründe seien nach der vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts auch nicht geeignet, eine diskriminierende Regelung zu rechtfertigen(29). Der Gerichtshof habe jedoch in der Rechtssache Lenoir(30) das Prinzip anerkannt, dass eng an das soziale Umfeld gebundene Leistungen davon abhängig gemacht werden könnten, dass der Empfänger im Staat des zuständigen Trägers wohne. Unterhaltsvorschüsse könnten zu diesen Leistungen gehören.

83.
    Die Kommission vertritt im Ergebnis die Auffassung, dass die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1612/68 in der Person des Kindes von Arbeitnehmern kein Recht auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen bekommen können, da ein minderjähriges Kind nicht in den persönlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung falle.

Würdigung

84.
    Im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 1612/68 ist in der Tat festzustellen, dass der Sachverhalt des vorliegenden Falles nicht der typischen Konstellation entspricht, die der Verordnung zugrunde liegt. Die spezifisch an den Zugang zur Beschäftigung(31) und an das Beschäftigungsverhältnis unmittelbar(32) anknüpfenden Gleichbehandlungsgebote helfen der Antragstellerin nicht weiter. Selbst wenn man die von der sorgeberechtigten Mutter der minderjährigen Antragstellerin in Anspruch genommene Arbeitnehmerfreizügigkeit als Anknüpfungspunkt wählt, handelt es sich bei dem Unterhaltsvorschuss nicht um eine Beschäftigungsbedingung der Arbeitnehmerin.

85.
    Man kann wohl ohne weiteres davon ausgehen, dass der Unterhaltsvorschuss an sich eine soziale Vergünstigung im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 darstellt, geht doch der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung von einer weiten Auslegung des Begriffes aus. Der Begriff der sozialen Vergünstigung umfasst danach alle diejenigen Vergünstigungen, „die - ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht - den inländischen Arbeitnehmern im Allgemeinen hauptsächlich wegen deren objektiver Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnsitzes im Inland gewährt werden und deren Ausdehnung auf die Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats sind, deshalb als geeignet erscheint, deren Mobilität innerhalb der Gemeinschaft zu fördern“(33).

86.
    Dennoch vermittelt die Einordnung des Unterhaltsvorschusses als soziale Vergünstigung im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 der Antragstellerin - gegebenenfalls über die Rechtsposition ihrer Mutter - keinen Anspruch auf die Leistung, da Artikel 7 die Gleichbehandlung im Beschäftigungsstaat gebietet. Das folgt aus dem insofern eindeutigen Wortlaut des Artikels 7 Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 1 der Vorschrift. Der Arbeitnehmer genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer, wobei auf Artikel 7 Absatz 1 implizit verwiesen wird. Die Antragstellerin verlangt aber gerade nicht die Gleichbehandlung in Frankreich, sondern eine Leistung ihres Herkunftslandes. Der Export sozialer Vergünstigungen im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 ist durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes bisher jedenfalls nicht allgemein anerkannt worden. Den Export von Leistungen im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68, die mittelbar oder unmittelbar an das Beschäftigungsverhältnis anknüpfen, hat der Gerichtshof nur inengen Grenzen gebilligt(34), wenn nämlich ein Wohnsitzerfordernis zu einer ungerechtfertigten mittelbaren Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Arbeitnehmers führt. Eine derartige Fallkonstellation liegt hier nicht vor. Daraus muss der Schluss gezogen werden, dass kein Fall vorliegt, der unter die Verordnung Nr. 1612/68 subsumiert werden könnte.

VII - Zur Berufung auf die Vertragsvorschriften

87.
    Dennoch scheint es offensichtlich, dass die sorgeberechtigte Mutter der Antragstellerin durch das Erfordernis des inländischen Wohnsitzes für den Unterhaltsvorschuss in ihrem Recht auf Freizügigkeit beeinträchtigt werden kann. Denn wie die Kommission zutreffend ausgeführt hat, könnte der Elternteil davon abgehalten werden, eine sich in einem anderen Mitgliedstaat bietende Arbeitsstelle anzunehmen, wenn das ihn begleitende Kind durch den Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat seine Unterhaltsvorschüsse verliert.

88.
    Es stellt sich daher die Frage, ob Artikel 39 EG oder die in den Artikeln 17 und 18 EG verankerte Unionsbürgerschaft unmittelbar herangezogen werden kann.

Beteiligtenvorbringen

89.
    Zu diesem Aspekt hat die Kommission ausführlich vorgetragen, der Anspruch der Antragstellerin lasse sich möglicherweise aus den Artikeln 12, 17, 18, 39 und 43 EG herleiten. Das vorlegende Gericht habe diesen Aspekt in den Vorlagefragen zwar nicht angesprochen, in die Begründung seines Beschlusses habe es jedoch den entsprechenden Vortrag der Antragstellerin aufgenommen. Da die Heranziehung der genannten Bestimmungen möglicherweise objektiv zur Lösung des Ausgangsrechtsstreits beitragen könnte, trägt sie ihre Rechtsansicht vor.

90.
    Als Angehörige eines Mitgliedstaats (Österreich), die sich rechtmäßig im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats (Frankreich), aufhalte, falle die Antragstellerin in den persönlichen Anwendungsbereich der Vertragsbestimmungen über die Unionsbürgerschaft.

91.
    Aus den Randnummern 61 bis 63 des Urteils Martínez Sala ergebe sich, dass Artikel 8 Absatz 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 17 Absatz 2 EG) an den Status eines Unionsbürgers die im Vertrag vorgesehenen Pflichten und Rechte, darunter das in Artikel 6 des EG-Vertrages (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG) festgelegte Recht anknüpfe, im sachlichen Anwendungsbereich des EG-Vertrages nicht aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert zu werden. Gemäß dem Gerichtshof könne sich folglich ein Unionsbürger, der sich rechtmäßig im Gebiet des Aufnahmemitgliedstaates aufhalte, in allen vom sachlichenAnwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts erfassten Fällen auf Artikel 12 EG berufen.

92.
    Zwar berufe sich die Antragstellerin auf die genannten Bestimmungen nicht gegenüber dem Aufnahmemitgliedstaat, sondern gegenüber ihrem Herkunftsmitgliedstaat, aber der Rechtsprechung des Gerichtshofes, insbesondere dem Urteil vom 7. Februar 1979 in der Rechtssache Knoors(35), sei zu entnehmen, dass die in Artikel 43 EG enthaltene Bezugnahme auf die Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, die sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats niederlassen wollten, nicht dahin ausgelegt werden könne, dass die eigenen Staatsangehörigen eines bestimmten Mitgliedstaats von der Anwendung des Gemeinschaftsrechts ausgeschlossen seien, wenn sie sich aufgrund der Tatsache, dass sie rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ansässig gewesen seien, gegenüber ihrem Herkunftsland in einer Lage befänden, die mit derjenigen aller anderen Personen, die in den Genuss der durch den Vertrag garantierten Rechte und Freiheiten kämen, vergleichbar sei.

93.
    Diesen Grundsatz habe der Gerichtshof auch in dem Urteil vom 23. Februar 1994 in der Rechtssache Scholz(36) bestätigt, in dem es heiße, dass jeder Gemeinschaftsbürger, der von seinem Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer Gebrauch gemacht und in einem anderen Mitgliedstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt habe, unabhängig von seinem Wohnort und seiner Staatsangehörigkeit in den Anwendungsbereich der genannten Vorschriften falle. Zwar sei die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens nicht Arbeitnehmerin, aber die Artikel 12 EG, 17 EG, 18 EG und 43 EG stellten nicht auf die Eigenschaft als Arbeitnehmer, sondern auf die Unionsbürgerschaft bzw. die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats ab.

94.
    Gemäß dem Urteil vom 22. November 1995 in der Rechtssache Vougioukas(37) und zur Vermeidung einer möglichen Diskriminierung nach Artikel 12 EG sei es folgerichtig, die eigenen Staatsangehörigen, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, ebenso wie die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, den eigenen Staatsangehörigen, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht ausgeübt haben, gleichzustellen. Dies bedeute im vorliegenden Fall, dass die der Antragstellerin entgegengehaltene Bedingung des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland als diskriminierend im Sinne des Gemeinschaftsrechts und als ein Verstoß gegen das Recht auf freie Niederlassung anzusehen sei, der österreichische Staatsbürger davon abhalten könne, von diesem Recht Gebrauch zu machen.

95.
    Eine objektive Rechtfertigung könne sich möglicherweise dann ergeben, wenn man davon ausgehe, dass der hier zur Entscheidung durch das nationale Gericht anstehende Unterhaltsvorschuss als eng an das soziale Umfeld gebundene Leistung anzusehen sei und deshalb vom gewöhnlichen Aufenthalt im Inland der anspruchsberechtigten Person abhängig gemacht werden könne. Das vorlegende Gericht habe hierzu allerdings bemerkt, dass die Frage, ob die Bedingung des gewöhnlichen Aufenthalts sachlich gerechtfertigt sei, zweifelhaft bleibe.

96.
    Die dänische Regierung hat in der mündlichen Verhandlung zu der durch den Vortrag der Kommission ausgelösten, vom Gerichtshof gestellten Frage nach den Wirkungen der Unionsbürgerschaft, Stellung genommen. Zusammengefasst vertritt sie dabei im Wesentlichen den Standpunkt, dass das Institut der Unionsbürgerschaft keine weiter gehenden Rechte vermittele als das Vertragsrecht und das abgeleitete Recht ohnehin schon einräumten.

97.
    Auch unter den anderen Beteiligten des Verfahrens hat keiner der Beteiligten den Standpunkt eingenommen, aus der Unionsbürgerschaft an sich sei eine Rechtsposition abzuleiten, die dazu führe, dass im Rahmen der Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung des Unterhaltsvorschusses, ein inländischer Wohnsitz nicht mehr nötig sei.

Würdigung

98.
    Im Hinblick auf die Rechtsposition, die die Antragstellerin möglicherweise von ihrer Mutter herleitet, kommt die unmittelbare Anwendbarkeit des Artikels 39 EG in Frage. Da es bei dem streitgegenständlichen Unterhaltsvorschuss für minderjährige Kinder notwendigerweise um finanzielle Mittel geht, die regelmäßig an den sorgeberechtigten Elternteil, mit dem das oder die minderjährigen Kinder in häuslicher Gemeinschaft leben, als gesetzlicher Vertreter der Kinder ausgezahlt werden, jedenfalls aber dem Haushalt, in dem die Kinder leben, zufließen, kann der mögliche Verlust der Unterstützungsleistung ein wichtiges Element im Entscheidungsprozess des sorgeberechtigten Elternteils ausmachen.

99.
    Dennoch zielt vor allem Artikel 39 Absatz 2, der ein spezielles Diskriminierungsverbot ausspricht, in erster Linie auf die Gleichbehandlung im Beschäftigungsstaat ab. Um eine derartige Problematik handelt es sich vorliegend jedoch nicht. Es handelt sich streng genommen auch nicht um einen Fall der Inländerdiskriminierung, denn dieser setzt definitionsgemäß voraus, dass ein Angehöriger eines anderen Mitgliedstaats in einer vergleichbaren Situation durch das Gemeinschaftsrecht eine Anspruchsposition vermittelt bekäme. Davon kann jedoch vorliegend auch nicht ausgegangen werden.

100.
    Es fragt sich also, ob die Antragstellerin über die Unionsbürgerschaft den Verzicht auf das Erfordernis des inländischen Wohnsitzes erwirken kann. Die Frage, ob und inwieweit die Unionsbürgerschaft zu Rechten verhilft, die weder ananderer Stelle des Vertrages noch sekundärrechtlich geregelt sind, ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofes noch weitgehend Neuland(38).

101.
    Da im Vorigen bereits eine Lösung vorgeschlagen wurde, die unter Auslegung oder Anwendung des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts in der Form der Verordnung Nr. 1408/71 zur Unanwendbarkeit des Wohnsitzerfordernisses bzw. zu dessen fiktiver Erfüllung führt, braucht an dieser Stelle der Frage nach den Wirkungen der Unionsbürgerschaft nicht nachgegangen zu werden, zumal sie nach der hier vertretenen Lösung rein hypothetischer Natur wäre.

VIII - Ergebnis

102.
    Als Konsequenz vorstehender Überlegungen schlage ich folgende Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens vor:

Unterhaltsvorschüsse nach dem österreichischen Bundesgesetz über die Gewährung von Vorschüssen auf den Unterhalt von Kindern (Unterhaltsvorschussgesetz 1985 - UVG, BGBl 451 in der geltenden Fassung) an minderjährige Kinder von Erwerbstätigen oder Arbeitslosen, die Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach den österreichischen Rechtsvorschriften beziehen, sind Familienleistungen nach Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, sowohl in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 118/97 vom 2. Dezember 1996 als auch der Verordnung (EG) Nr. 307/1999 vom 8. Februar 1999. Die Artikel 73 und 74 der genannten Verordnung Nr. 1408/71 begründen ein Recht des mit seiner Mutter in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden ehelichen Kindes eines in Österreich wohnhaften und in Österreich beschäftigten oder arbeitslosen Vaters, der Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach österreichischen Vorschriften bezieht, auf Gewährung eines Unterhaltsvorschusses nach dem genannten Unterhaltsvorschussgesetz.


1: Originalsprache: Deutsch.


2: -     Vgl. Rechtssache C-85/99 (Offermanns, Schlussanträge vom 28. September 2000, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), in der es um die Vereinbarkeit derselben mitgliedstaatlichen Vorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht ging.


3: -     Unterhaltsvorschussgesetz 1985 - UVG, BGBl S. 451.


4: -     Vgl. Rechtssache C-85/99 (zitiert in Fußnote 1).


5: -     Vgl. Rechtssache 115/77 (Slg. 1978, 805).


6: -     ABl. L 38, S. 1.


7: -     Rechtssache 104/84 (Slg. 1985, 2205).


8: -     Vgl. Urteile vom 27. März 1985 in der Rechtssache 249/83 (Hoeckx, Slg. 1985, 973, Randnr. 11) und in der Rechtssache 122/84 (Scrivner, Slg. 1985, 1027, Randnr. 18); Urteile vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-78/91 (Hughes, Slg. 1992, I-4839, Randnr. 14), vom 10. Oktober 1996 in den verbundenen Rechtssachen C-245/94 und C-312/94 (Hoever und Zachow, Slg. 1996, I-4895, Randnr. 17) und vom 5. März 1998 in der Rechtssache C-160/96 (Molenaar, Slg. 1998, I-843, Randnr. 19).


9: -     Vgl. Rechtssache Hughes (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 15); Rechtssache Hoever und Zachow (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 18); Rechtssache Molenaar (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 20) und Urteil vom 11. Juni 1998 in der Rechtssache C-275/96 (Kuusijärvi, Slg. 1998, I-3419, Randnr. 57).


10: -     Vgl. die Rechtsprechung, die in Fußnote 8 zitiert ist.


11: -     Urteil in der Rechtssache 104/84 (Kromhout, zitiert in Fußnote 6, Randnr. 14).


12: -     Rechtssache Hughes (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 21).


13: -     „Family credit“.


14: -     Vgl. verbundene Rechtssachen Hoever und Zachow (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 33).


15: -     Urteil vom 23. November 1976 in der Rechtssache 40/76 (Slg. 1976, 1669).


16: -     Urteil in der Rechtssache Kermaschek (zitiert in Fußnote 14, Randnr. 7).


17: -     Zitiert in Fußnote 14.


18: -     Vgl. Urteile vom 6. Juni 1985 in der Rechtssache 157/84 (Frascogna, Slg. 1985, 1739), vom 20. Juni 1985 in der Rechtssache 94/84 (Deak, Slg. 1985, 1873), vom 17. Dezember 1987 in der Rechtssache 147/87 (Zaoui, Slg. 1987, 5511), vom 8. Juli 1992 in der Rechtssache C-243/91 (Taghavi, Slg. 1992, I-4401) und vom 27. Mai 1993 in der Rechtssache C-310/91 (Schmid, Slg. 1993, I-3011).


19: -     Urteil vom 30. April 1996 in der Rechtssache C-308/93 (Slg. 1996, I-2097).


20: -     Dort ging es um Leistungen bei Arbeitslosigkeit für eine drittstaatsangehörige Familienangehörige.


21: -     Vgl. Rechtssache Cabanis-Issarte (zitiert in Fußnote 18, Randnr. 34).


22: -     Urteil Cabanis-Issarte (zitiert in Fußnote 18, Randnr. 31).


23: -     Siehe Nr. 52.


24: -     Vgl. Urteil in der Rechtssache Hoever und Zachow (zitiert in Fußnote 7, Randnr. 33).


25: -     Vgl. Urteil vom 31. März 1993 in der Rechtssache C-19/92 (Kraus, Slg. 1993, I-1663, Randnrn. 15 ff.).


26: -     Die Vorschrift wurde in die Verordnung Nr. 1408/71 eingefügt durch die Verordnung Nr. 307/1999 (zitiert in Fußnote 5).


27: -     Urteil vom 21. Juni 1988 in der Rechtssache 39/86 (Lair, Slg. 1988, 3161).


28: -     Rechtssache C-3/90 (Slg. 1992, I-1071).


29: -     Urteile vom 28. April 1998 in der Rechtssache C-120/95 (Decker, Slg. 1998, I-1831, Randnr. 39) und in der Rechtssache C-158/96 (Kohll, Slg. 1998, I-1931, Randnr. 41).


30: -     Urteil vom 27. September 1988 in der Rechtssache 313/86 (Slg. 1988, 5391).


31: -     Vgl. Artikel 3 der Verordnung.


32: -     Vgl. Artikel 7 Absätze 1, 3 und 4.


33: -     Vgl. Urteil vom 31. Mai 1979 in der Rechtssache 207/78 (Even, Slg. 1979, 2019, Randnr. 22).


34: -     Vgl. Urteil vom 27. November 1997 in der Rechtssache C-57/96 (Meints, Slg. 1997, I-6689).


35: -     Rechtssache 115/78 (Slg. 1979, 399).


36: -     Rechtssache C-419/92 (Slg. 1994, I-505, Randnr. 9).


37: -     Rechtssache C-443/93 (Slg. 1995, I-4033, Randnrn. 41 f.).


38: -     Urteil vom 12. Mai 1998 in der Rechtssache C-85/96 (Martínez Sala, Slg. 1998, I-2691).